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Ungarn und die Staatsbürgerschaft: Zurück ins Jahr 1914?

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Das kann Europa in diesen schweren Zeiten so richtig gut gebrauchen: ein völkisch grundiertes Staatsbürgerschaftsgesetz, das  90 Jahre alte Grenzziehungen in Osteuropa in Frage stellt, Mitgliedsstaaten der Europäischen Union in die (rhetorische) Generalmobilmachung gegeneinander treibt und die Angst der Euroskeptiker vor ungezügelter Immigration nährt.

Das ungarische Parlament hat mit erdrückender Mehrheit ein Gesetz verabschiedet, das im Großen und Ganzen jedem, der den Finger hebt und ungarisch kann, die ungarische Staatsbürgerschaft verspricht. Das klingt wie eine nette Geste, ist aber keine. In Ungarns Nachbarstaaten, darunter dem EU-Mitgliedsstaat Slowakei, leben 2,5 Millionen Menschen, die einen ukrainischen, serbischen oder slowakischen Pass haben, ethnisch aber der ungarischen Minderheit angehören. Die hat Ungarn jetzt, ohne groß zu fragen, einfach mal so eingebürgert.

Die Voraussetzungen der Staatsbürgerschaft zu regeln, gehört laut Lissabon-Urteil des BVerfG zu den Dingen, die aufgrund des Demokratieprinzips jeder Staat unbedingt in uneingeschränkter Souveränität zu regeln hat. Durch die Staatsangehörigkeit bestimmt sich die Zugehörigkeit zum Volk, von dem nach Art. 20 II 1 GG alle Staatsgewalt ausgeht.

Wenn der Fall Ungarn eines lehrt, dann dies: Souveränität im Sinn von “wir machen das so, weil wir das wollen und keinen anderen vorher fragen müssen” gibt es in einem vereinten Europa nicht. Auch nicht in der Selbstbestimmung des Volkes im ganz buchstäblichen Sinne.

Das Foto übrigens, das sympathische junge Ungarn beim Ostermarsch für Weltfrieden und Toleranz zeigt, stammt nicht aus dem Jahr 1940. Das ist aktuell.


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